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Soziale Neurowissenschaften:
Wie Oxytocin bei der Bewältigung von Einsamkeit helfen kann

13.06.2024

Ergebnisse einer Bochumer Studie deuten darauf hin, dass das sogenannte Bindungshormon Oxytocin dazu beiträgt, positive Gruppenbeziehungen während einer Therapie zu fördern und akute Einsamkeit zu lindern. (c) Pexels über Pixabay

Ergebnisse einer Bochumer Studie deuten darauf hin, dass das sogenannte Bindungshormon Oxytocin dazu beiträgt, positive Gruppenbeziehungen während einer Therapie zu fördern und akute Einsamkeit zu lindern.

Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen, das sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit beeinträchtigen kann. Angesichts der wachsenden Anerkennung der soziopolitischen und gesundheitlichen Bedeutung des Themas hat ein Forschungsteam um Prof. Dr. Dirk Scheele, Ruhr-Universität Bochum, und Dr. Jana Lieberz, Universitätsklinikum Bonn, eine Studie zur förderlichen Wirkung von Oxytocin bei einer Intervention gegen Einsamkeit durchgeführt. Es fand heraus, dass die Oxytocin-Gabe positive Effekte auf akute Einsamkeit hat. Das generelle Einsamkeitsempfinden wurde hingegen nicht beeinflusst. Die Arbeit wurde in Kooperation mit Forscher*innen der Universitäten Oldenburg, Freiburg und Haifa (Israel) durchgeführt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden am 16. Mai 2024 in der Fachzeitschrift „Psychotherapy and Psychosomatics“.

Einsamkeit wird in der Medizin und Psychologie als emotionale Reaktion definiert, die aus einem wahrgenommenen Mangel an sozialen Verbindungen resultiert. „Einsamkeit ist dabei keine Krankheit, sondern ein ganz normales Gefühl, das jeder von Zeit zu Zeit verspürt“, erklärt Dirk Scheele, der als Principal Investigator am Research Department of Neuroscience (RDN) an der RUB forscht. „Wenn Einsamkeit jedoch chronisch wird, erhöht sich das Risiko für psychische Erkrankungen genauso wie das allgemeine Sterblichkeitsrisiko.“ Angesichts der erheblichen Auswirkungen von Einsamkeit auf den Einzelnen und die Gesellschaft bestehe ein dringender Bedarf die neurobiologischen Grundlagen von Einsamkeit besser zu verstehen um gezielt Gegenmaßnahmen zu entwickeln, so der Wissenschaftler.

Oxytocin wird umgangssprachlich als „Kuschelhormon“ bezeichnet

In einer früheren Untersuchung konnte beobachtet werden, dass einsame Menschen eine geringere Freisetzung des Hormons Oxytocin bei positiven Interaktionen zeigen. „Mit Hilfe unsere Studie wollten wir nun untersuchen, ob der Effekt einer Gruppenpsychotherapie verstärkt werden kann, wenn die Probandinnen und Probanden vorab dieses Bindungshormon verabreicht bekommen“, erläutert Dirk Scheele. „Oxytocin schien uns in diesem Zusammenhang besonders geeignet, weil es für seine Rolle bei Bindung und Wohlbefinden bekannt ist. Es kann Stress reduzieren, das Schmerzempfinden verringern und auch Ängste dämpfen. Von Natur aus schüttet der Körper das Hormon zum Beispiel bei sanften Berührungen aus, weshalb es umgangssprachlich auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird.“

Die Studie kombinierte daher eine modulare Psychotherapie, bei der insgesamt fünf Gruppensitzungen stattfanden, mit der Gabe von Oxytocin. Die Psychotherapie konzentrierte sich auf kritische psychologische Mechanismen der Einsamkeit, während Oxytocin als mögliche pharmakologische Ergänzung untersucht wurde.
Insgesamt 78 Testpersonen mit einer hohen empfundenen Einsamkeit nahmen an der Studie teil. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe bekam über ein Nasenspray das Hormon Oxytocin. Die andere erhielt als Kontrollgruppe ein Placebo-Präparat ohne Wirkstoff.

Beschleunigung der sozialen Bindung und Abnahme der akuten Einsamkeit

Wie erwartet zeigte sich, dass Probanden nach fünf Wochen mit wöchentlichen Therapiesitzungen über weniger chronische Einsamkeit und Stress berichten als vorher – und das unabhängig von der Hormon-Gabe. Überraschend war für die Forschenden dabei, dass Oxytocin keine verstärkende Wirkung auf die Therapieerfolge von genereller Einsamkeit und Stress hatte. Allerdings ließen sich zwei andere Effekte beobachten. „Die Testpersonen, die Oxytocin bekommen hatten, waren schneller darin, zu anderen Gruppenmitgliedern eine positive Beziehung aufzubauen“, beschreibt Jana Lieberz. „Die Probandinnen und Probanden berichten zudem über eine stärkere Abnahme der akuten Einsamkeit direkt nach den Sitzungen.“

Das Forschungsteam will nun untersuchen, ob und wie sich diese positiven Effekte des Hormons Oxytocin auch auf die chronische Form der Einsamkeit übertragen lassen. „Ein Ansatz könnte sein, dass das Hormon den Patientinnen und Patienten hilft, in einer Psychotherapie am Ball zu bleiben und so die Therapieergebnisse bei längerer Behandlungsdauer zu verbessern. Dies muss jedoch in weiteren Studien erforscht werden“, erläutert Dirk Scheele. „Darüber hinaus interessiert uns, ob chronische Einsamkeit und Stress weitere, bisher wenig beachtete Effekte haben kann. Beispielsweise wollen wir untersuchen, ob Einsamkeit die Verarbeitung von sozialer Berührung beeinflussen kann.“

Förderung:
Diese Arbeit wurde durch Beihilfen der Deutsch-Israelischen Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung unterstützt sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Originalveröffentlichung:
Ruben Berger et al.: Oxytocin-Augmented Modular-Based Group Intervention for Loneliness: A Proof-of-Concept Randomized Controlled Trial, in: Psychotherapy and Psychosomatics, 2024, DOI: 10.1159/000538752.

Link zur Publikation:
https://karger.com/pps/article/doi/10.1159/000538752/907413/Oxytocin-Augmented-Modular-Based-Group

Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Scheele
Abteilung für soziale Neurowissenschaften
Research Center One Health Ruhr of the University Alliance Ruhr
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel: +49 (0)234 32-28696
Email: dirk.scheele@ruhr-uni-bochum.de

Text:
Anke Maes

Foto:
Pexels über Pixabay

 

Ergebnisse einer Bochumer Studie deuten darauf hin, dass das sogenannte Bindungshormon Oxytocin dazu beiträgt, positive Gruppenbeziehungen während einer Therapie zu fördern und akute Einsamkeit zu lindern. (c) Pexels über Pixabay

Ergebnisse einer Bochumer Studie deuten darauf hin, dass das sogenannte Bindungshormon Oxytocin dazu beiträgt, positive Gruppenbeziehungen während einer Therapie zu fördern und akute Einsamkeit zu lindern.

Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen, das sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit beeinträchtigen kann. Angesichts der wachsenden Anerkennung der soziopolitischen und gesundheitlichen Bedeutung des Themas hat ein Forschungsteam um Prof. Dr. Dirk Scheele, Ruhr-Universität Bochum, und Dr. Jana Lieberz, Universitätsklinikum Bonn, eine Studie zur förderlichen Wirkung von Oxytocin bei einer Intervention gegen Einsamkeit durchgeführt. Es fand heraus, dass die Oxytocin-Gabe positive Effekte auf akute Einsamkeit hat. Das generelle Einsamkeitsempfinden wurde hingegen nicht beeinflusst. Die Arbeit wurde in Kooperation mit Forscher*innen der Universitäten Oldenburg, Freiburg und Haifa (Israel) durchgeführt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden am 16. Mai 2024 in der Fachzeitschrift „Psychotherapy and Psychosomatics“.

Einsamkeit wird in der Medizin und Psychologie als emotionale Reaktion definiert, die aus einem wahrgenommenen Mangel an sozialen Verbindungen resultiert. „Einsamkeit ist dabei keine Krankheit, sondern ein ganz normales Gefühl, das jeder von Zeit zu Zeit verspürt“, erklärt Dirk Scheele, der als Principal Investigator am Research Department of Neuroscience (RDN) an der RUB forscht. „Wenn Einsamkeit jedoch chronisch wird, erhöht sich das Risiko für psychische Erkrankungen genauso wie das allgemeine Sterblichkeitsrisiko.“ Angesichts der erheblichen Auswirkungen von Einsamkeit auf den Einzelnen und die Gesellschaft bestehe ein dringender Bedarf die neurobiologischen Grundlagen von Einsamkeit besser zu verstehen um gezielt Gegenmaßnahmen zu entwickeln, so der Wissenschaftler.

Oxytocin wird umgangssprachlich als „Kuschelhormon“ bezeichnet

In einer früheren Untersuchung konnte beobachtet werden, dass einsame Menschen eine geringere Freisetzung des Hormons Oxytocin bei positiven Interaktionen zeigen. „Mit Hilfe unsere Studie wollten wir nun untersuchen, ob der Effekt einer Gruppenpsychotherapie verstärkt werden kann, wenn die Probandinnen und Probanden vorab dieses Bindungshormon verabreicht bekommen“, erläutert Dirk Scheele. „Oxytocin schien uns in diesem Zusammenhang besonders geeignet, weil es für seine Rolle bei Bindung und Wohlbefinden bekannt ist. Es kann Stress reduzieren, das Schmerzempfinden verringern und auch Ängste dämpfen. Von Natur aus schüttet der Körper das Hormon zum Beispiel bei sanften Berührungen aus, weshalb es umgangssprachlich auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird.“

Die Studie kombinierte daher eine modulare Psychotherapie, bei der insgesamt fünf Gruppensitzungen stattfanden, mit der Gabe von Oxytocin. Die Psychotherapie konzentrierte sich auf kritische psychologische Mechanismen der Einsamkeit, während Oxytocin als mögliche pharmakologische Ergänzung untersucht wurde.
Insgesamt 78 Testpersonen mit einer hohen empfundenen Einsamkeit nahmen an der Studie teil. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe bekam über ein Nasenspray das Hormon Oxytocin. Die andere erhielt als Kontrollgruppe ein Placebo-Präparat ohne Wirkstoff.

Beschleunigung der sozialen Bindung und Abnahme der akuten Einsamkeit

Wie erwartet zeigte sich, dass Probanden nach fünf Wochen mit wöchentlichen Therapiesitzungen über weniger chronische Einsamkeit und Stress berichten als vorher – und das unabhängig von der Hormon-Gabe. Überraschend war für die Forschenden dabei, dass Oxytocin keine verstärkende Wirkung auf die Therapieerfolge von genereller Einsamkeit und Stress hatte. Allerdings ließen sich zwei andere Effekte beobachten. „Die Testpersonen, die Oxytocin bekommen hatten, waren schneller darin, zu anderen Gruppenmitgliedern eine positive Beziehung aufzubauen“, beschreibt Jana Lieberz. „Die Probandinnen und Probanden berichten zudem über eine stärkere Abnahme der akuten Einsamkeit direkt nach den Sitzungen.“

Das Forschungsteam will nun untersuchen, ob und wie sich diese positiven Effekte des Hormons Oxytocin auch auf die chronische Form der Einsamkeit übertragen lassen. „Ein Ansatz könnte sein, dass das Hormon den Patientinnen und Patienten hilft, in einer Psychotherapie am Ball zu bleiben und so die Therapieergebnisse bei längerer Behandlungsdauer zu verbessern. Dies muss jedoch in weiteren Studien erforscht werden“, erläutert Dirk Scheele. „Darüber hinaus interessiert uns, ob chronische Einsamkeit und Stress weitere, bisher wenig beachtete Effekte haben kann. Beispielsweise wollen wir untersuchen, ob Einsamkeit die Verarbeitung von sozialer Berührung beeinflussen kann.“

Förderung:
Diese Arbeit wurde durch Beihilfen der Deutsch-Israelischen Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung unterstützt sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Originalveröffentlichung:
Ruben Berger et al.: Oxytocin-Augmented Modular-Based Group Intervention for Loneliness: A Proof-of-Concept Randomized Controlled Trial, in: Psychotherapy and Psychosomatics, 2024, DOI: 10.1159/000538752.

Link zur Publikation:
https://karger.com/pps/article/doi/10.1159/000538752/907413/Oxytocin-Augmented-Modular-Based-Group

Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Scheele
Abteilung für soziale Neurowissenschaften
Research Center One Health Ruhr of the University Alliance Ruhr
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel: +49 (0)234 32-28696
Email: dirk.scheele@ruhr-uni-bochum.de

Text:
Anke Maes

Foto:
Pexels über Pixabay